Eine Industriemaschine mit Rädern und Licht, die für die Präzisionslandwirtschaft geeignet ist, symbolisiert die landwirtschaftliche Innovation.
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Precision Farming: Wie Roboter die Ernte-Erträge steigern helfen

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Publiziert am 21.06.2021 MESZ

Auch wenn viele Landwirtinnen und Landwirte gerne «Schwärme von Robotern» sehen würde, die bei der Bewirtschaftung der Felder helfen: Noch sind die Initialkosten hoch. Innovative Pricing-Modelle wie «Robots as a Service» versprechen Abhilfe zu schaffen. © Getty

 

 

Robotik sei Dank, liegt Unkrautjäten wieder im Trend – ein Bericht über die Landarbeiter des dritten Jahrtausends

Sie heissen Dick, Tom und Harry und sind elektronische Land­arbeiter, die Bauern künftig helfen sollen, ihre Felder effizienter zu bewirtschaften. Was sie so besonders macht? Mit ihren flinken «Händen» packen sie landwirt­schaftliche Probleme wortwörtlich an der Wurzel – und können so die Umwelt schonen.

 

 

Von Megan Tatum,

britische Wissenschafts­journalistin mit Publikationen in zahlreichen Print- und Online-Medien. Sie ist ständige freie Mitarbeiterin von Wired UK.

Ihre Recherche veröffentlichen wir hier als Teil unserer Publishing Partnership mit Wired UK.

  

Auf dem Landgut Lockerley bahnt sich ein Roboter namens Tom langsam, aber stetig seinen Weg durch 650 Hektar Ackerland. Nur 150 Kilo­gramm schwer, fährt der autonome Precision-Farming-Roboter auf vier Rädern. Orange­farbene Elemente zieren seinen 1,8 Meter langen Metallrahmen. Vorne, am Ende von Toms langem Ausleger, ist eine leistungs­starke Doppel­kamera angebracht, die jede einzelne Weizen­pflanze abtastet, die aus dem Boden von Hampshire spriesst.

Jeden Tag kann der Roboter auf diese Weise bis zu 20 Hektar abfahren und dabei etwa sechs Terabyte an Daten sammeln. Entwickelt wurde er vom britischen Start-up-Unternehmen «Small Robot Company» mit dem Ziel, in Weizen­feldern Pflanzen zu erkennen, die von Unkraut befallen sind. Ein Problem, das, wenn es nicht bekämpft wird, zur Vernichtung ganzer Felder führen kann. Sobald Tom fertig ist, ist Dick an der Reihe. Ein spinnenartiger Präzisions-Roboter, der mit einem fünfzackigen «Todesstab» bewaffnet ist. Dick kann jedes einzelne entdeckte Unkraut ohne Chemikalien durch einen gezielten Stromschlag vernichten.

Für Craig Livingstone, der das Landgut Lockerley seit fünf Jahren leitet, war der Einsatz von Tom und Dick in den letzten zwölf Monaten ein erster Test – und ein grosser Segen. Seit seiner Ankunft hat Livingstone den Einsatz von Pestiziden bereits um 41 Prozent und den von Düngemitteln um 32 Prozent reduziert. Dafür setzte er zunächst auf eine Mischung aus Fruchtfolge, Agronomie (der Untersuchung des Bodens) und eine 1’000-köpfige Herde von Weideschafen.

All das hat Zeit und Geld gespart und geholfen, den Umweltschutz zu verbessern. «Aber wie sollen die nächsten 40 Prozent eingespart werden?», fragt Livingstone. «Ich denke, mit Hilfe von Robotern.» Deren Unterstützung könne für die britische Landwirtschaft nicht früh genug kommen, fügt er hinzu. «Dies ist der zweite Monat der wichtigsten zehn Jahre der britischen Landwirtschaft. Wenn wir jetzt nicht in der Lage sind, neue Technologien einzusetzen, werden wir wieder ins Hintertreffen geraten.»

 

 

Für Precision Farming gebaut: Ein Landwirtschafts-Roboter mit geländegängigen Rädern und elektronischen Greifarmen

Der Roboter namens Tom tastet den Boden nach Weizenpflanzen ab. © Foto: Small Robot Company (ZVG)

 

  

Klimawandel und Arbeitskräftemangel ebnen den Weg für Roboter-Hilfe

Die rund 150’000 Landwirtschafts-Betriebe in Grossbritannien sehen sich derzeit einer Flut von Belastungen ausgesetzt. Einige davon sind Bedrohungen, die sich über viele Jahrzehnte aufgebaut haben. Dazu gehören zum Beispiel die Schäden, die der Klimawandel anrichtet. Angesichts der zunehmenden Unwetter und der stärkeren Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten haben sich die britischen Landwirte jetzt zu einem ehrgeizigen Netto-Null-Kohlenstoff-Ziel bis 2040 verpflichtet.

Doch es gibt noch andere Entwicklungen, die britische Landwirte vor grosse Herausforderungen stellen. So führte die Corona-Pandemie zu Reise­beschränkungen, die den Landwirten weiter geschadet haben. «Tausende unbesetzte Arbeitsplätze auf den Feldern, in den Gewächs- und Lager­häusern» bereiteten in den vergangenen Monaten der Bauern­vereinigung «National Farmers’ Union» Sorgen. Auch die britischen Supermärkte sind stärker abhängig von lokalen Produkten. Das bedeutet eine erhöhte Nachfrage bei reduzierter Arbeitskraft.

«In der Vergangenheit hatte man das Problem in der Landwirtschaft einfach mit mehr Arbeits­kräften gelöst», sagt Mark Gray, Manager für Grossbritannien und Irland beim dänischen Roboter­hersteller Universal Robots. «Aber das geht jetzt nicht mehr so einfach.» Roboter bieten nun die Hoffnung, diese Lücke zu schliessen – und gleichzeitig die Landwirtschaft sowohl effizienter als auch umweltfreundlicher zu gestalten.

 

ZUR BEGRIFFSERKLÄRUNG

Was heisst Precision Farming genau?

Precision Farming, zu Deutsch: Präzisions­landwirtschaft, ist eine zentrale Innovation im Bereich der Technologie-gestützten Landwirtschaft. Das Ziel von Precision Farming ist es, Felder und Anbau­flächen nicht einfach als Ganzes zu bewirtschaften, sondern jeder Teilfläche auf dem Feld oder sogar jeder einzelnen Pflanze separat Rechnung zu tragen.

So sollen Ernteausfälle verringert und letztlich mehr Erträge in besserer Qualität erzielt werden.

Automatisierung wird in der britischen Landwirtschaft gross geschrieben

Traditionell hinkt Grossbritannien hinterher, wenn es um das Thema Automatisierung geht: 2018 gab es nur 85 Roboter pro 100’000 Arbeiterinnen und Arbeiter, verglichen mit mehr als 700 pro 100’000 beim Weltmarktführer Südkorea. Aber es gibt wachsende Bemühungen, das zu ändern. Der britische Agritech-Sektor, der bereits 14 Milliarden Pfund gross ist und rund eine halbe Million Menschen beschäftigt, hat in letzter Zeit deutlich mehr Unterstützung von der Regierung erhalten. 2013 wurde eine Initiative für Agrartechnologien in Höhe von 160 Millionen Pfund ins Leben gerufen, vier neue Agri-Tech-Innovationszentren eingerichtet und mehrere Finanzierungsrunden für innovative Projekte durchgeführt. Ein Beispiel:

24 Millionen Pfund wurden im Jahr 2020 für Robotik bereitgestellt, mit der Landwirte ihre Nachhaltigkeit steigern können.

  

Zu den elektronischen Helfern gehören Roboter, die Beerenfrüchte pflücken und verpacken können, ein «Vertical Farming» Stapelsystem für Nutzpflanzen von «InFarm» aus London und sogar tragbare Geräte für Milchkühe zur Überwachung der Milchproduktion.

Das britisches Start-up «Xihelm», das von einem ehemaligen Google-Mitarbeiter geleitet wird, erhielt 2018 einen staatlichen Zuschuss für eine robotergestützte Gewächshaus-Erntemaschine. Noch im selben Jahr begann das Start-up mit kommerziellen Versuchen auf Bauernhöfen. Mittlerweile ist bereits die fünfte Generation des Bots «Eagle» im Einsatz. In einem Gewächshaus, das mit Reihen von Tomaten gefüllt ist, nutzt der Roboterarm seine Künstliche Intelligenz (KI), um die reifsten Früchte zu lokalisieren, bevor er sie vorsichtig am Stiel abzupft.

Bei der Firma «FlavourFresh», die in der Regel auf rund 80 saisonale Arbeitskräfte angewiesen ist, um tausende Tonnen Tomaten und Beeren zu ernten, hilft der Farming-Roboter, Unsicherheiten bei der Arbeitsplanung zu bewältigen, sagt Geschäftsführerin Charmay Prout:

«Normalerweise haben wir Ernte­schübe, bei denen die Früchte auf einmal reif sind. Wenn wir dann nicht genug Hände zum Pflücken haben, kann das zu hohen Verlusten führen, was sich letztlich auf unsere Rentabilität auswirkt.»

  

Es ist nicht nur der Arbeitskräfte­mangel, den die Robotik bekämpfen kann, sondern auch die steigenden Kosten für Arbeitskräfte, fügt Prout hinzu. Seit 2016 hat sich das Durchschnitt­sein­kommen im vereinigten Königreich um 21 Prozent erhöht. Ausserdem lässt sich die Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten einschränken, wenn das Personal in den Gewächs­häusern begrenzt wird und nicht dauernd von einem Ernte-Bereich zum nächsten wechseln muss.

 

 

Investitionen in Farming Roboter kompensieren fehlende Erntehelfer

Immer mehr britische Landwirte verstehen die Vorteile einer Investition in die Robotik, sagt Peter Keeling, Gründer des landwirtschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsunternehmens «KMS Projects». «Vor drei Jahren habe ich mich an eine Gruppe von Landwirten gewandt, die nicht verstehen konnten, warum wir die Ernte mit Farming-Robotern durchführen wollen. Seitdem sind fast alle Landwirte [mit denen wir sprechen] an Bord.» Die neue, automatisierte Brokkoli-Ernte-Maschine des Unternehmens habe das Potenzial, die Arbeit von etwa sechs Landwirtschaftskräften zu übernehmen, sagt er. Sie wartet jetzt auf die abschliessenden Feldversuche, bevor sie auf den Markt kommt. Die drei Roboterarme werden von einem Traktor angetrieben und sind mit einem präzisen Schneidewerkzeug ausgestattet, das alle drei Sekunden einen Brokkolikopf ernten kann – doppelt so schnell wie ein manueller Pflücker.

Derzeit erhalten Farming-Roboter nur einen winzigen Teil der Gesamtfinanzierung auf dem Agrartechnologiemarkt (etwa drei Prozent laut AgFunder, einem Risikokapitalgeber für Agrartechnologie), wobei der Weg vom Prototyp zur skalierbaren Technologie oft Jahre dauert. Die Entwicklung der automatisierten Erntemaschine KMS hat beispielsweise zwölf Jahre und mehr als 250’000 Pfund beansprucht.

 

  

Ist die Zeit reif für «Roboter im Abo», für den «Robot as a Service» (RaaS)?

«Viele britische Landwirte sind Kleinbetriebe, denen das nötige Kapital fehlt, um in diese Art von Technologien zu investieren», betont Fabian Wallace-Stephens, Senior Researcher beim Think Tank RSA. Es gibt Bestrebungen, die Risiken dieser grossen Vorabinvestition abzumildern, indem man «Robots as a Service» anbietet, fügt er hinzu, «ein Modell, das nicht das gleiche Mass an Vorabinvestition erfordert, sondern durch Transaktionsgebühren getragen wird».

Bei der «Small Robot Company» zum Beispiel ist der Plan, bis 2024 Roboter als Service anzubieten, anstatt von Landwirten wie Livingstone zu verlangen, Hunderttausende von Pfund für ihren Tom, Dick und Harry (ein dritter Roboter, der einzelne Samen in präzise gebohrte Löcher pflanzen kann) auszugeben. Auch Keeling geht davon aus, dass «grössere Betriebe die Robotik einsetzen werden, weil sie aufgrund ihrer Anbauflächen dazu gezwungen sind», während kleinere Betriebe, die etwa zwei Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in Europa ausmachen, eine erschwinglichere Option benötigen, wenn sie am Fortschritt teilhaben wollen.

«Die Robotik ist keine schnelle Lösung», stimmt Livingstone zu. Auch wenn er gerne «Schwärme von Robotern» sehen würde, die ihm bei der Bewirtschaftung seiner Felder helfen: Offen räumt er ein, dass es sich um einen Systemwechsel handle, um eine Änderung der Denkweise: «Es erfordert weit mehr als die Einführung eines Roboters, damit die Probleme verschwinden.» Es wird eine Zusammenarbeit mit den Herstellern von Robotern geben müssen, ähnlich wie Landwirte in der Vergangenheit mit Herstellern von Pestiziden oder Agronomen zusammen­gearbeitet haben, um die Erträge zu steigern oder Unkraut zu bekämpfen, ohne die Pflanzen von Hand bearbeiten zu müssen. Aber der Wandel sei notwendig, ist Livingstone überzeugt.

 

 

 

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