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Werden wir bald in Höhlen wohnen?

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Publiziert am 14.01.2020 MEZ

Ganze Städte unter der Erde waren lange Zeit nur Stoff für Science-Fiction-Erzählungen. Mit dem Fortschreiten der Klimakrise nehmen Regierungen und Planer das Thema jetzt ernst. Eine der grössten Herausforderungen besteht darin, die Menschen davon zu überzeugen, sich im Untergrund wohl zu fühlen

Bereits im Jahr 1800 v. Chr. entschieden die Menschen in der Region Kappadokien in der heutigen Türkei, dass ihre Umwelt so feindlich eingestellt war - bei extremem Wetter und ständiger Kriegsgefahr -, dass sie sich mit ihrer ganzen Stadt unter Tage eingruben. Derinkuyu, die älteste noch existierende unterirdische Stadt, beherbergte 20.000 Menschen und bestand aus Schulen, Häusern, Einkaufsmöglichkeiten und Kultstätten, die durch grosse Steintüren geschützt waren. So konnte jedes Stockwerk separat abgesperrt werden.

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©WIRED

Das finnische Helsinki verfolgte 2010 im Wesentlichen den identischen Ansatz. 2019 verabschiedete der Stadtrat einen Plan, der die gesamte, 214 Quadratkilometer grosse Fläche der Metropole umfasst. Um Energie zu sparen, die Stadt vor den langen und kalten Wintern zu schützen, und um gegen einen möglichen russischen Angriff gewappnet zu sein.
Aber es ist nicht nur die Sicherheit und das saisonale Wetter, die neuerdings als Gründe für das Leben im Untergrund angepriesen werden. Das Leben unter der Erde bietet eine Alternative zu riesigen Hochhäusern und wachsenden Populationen. Asmo Jaaksi, Partner des Architekturbüros JKMM in Helsinki und Chefarchitekt des unterirdischen Amos Rex-Museums der Stadt, sagt, dass das Leben unter der Erde Wärme spart und unter Umständen einer der sichersten Orte ist, wenn der Klimanotfall eintritt.
Helsinki leistet seit langem Pionierarbeit im Untergrund. Die von den Architekten Timo und Tuomo Suomalainen entworfene Temppeliaukio-Kirche wurde 1969 im Stadtteil Toolo in die Tiefe gebaut. 1993 war es die Itakeskus-Schwimmhalle, ein grosses Freizeitzentrum, das an einem durchschnittlichen Tag 1.000 Besucher zählt. Bei Bedarf verwandelt sich die Halle in eine Notunterkunft für 3.800 Menschen.

Der Platz über der Erde wird knapp

„Helsinki steht auf Felsen und die bieten ein sehr stabiles Fundament“, sagt Jaaksi. „Die Stadt ist immer überfüllt und wir haben so lange, dunkle und kalte Winter. Unter der Erde gibt es mehr Platz und dort sind wir vor schlechtem Wetter geschützt." Ilkka Vähäaho, Leiterin der geotechnischen Abteilung von Helsinki, stimmt zu. Laut Vähäaho gibt es noch weitere Argumente für den Bau von Höhlen: „Wir brauchen mehr Freiflächen im Zentrum. Wenn Teile der Stadt unterirdisch genutzt werden, können mehr Flächen über der Erde entstehen.“
Helsinkis Plan könnte neue Argumente für ein Leben im Untergrund liefern. Da bis 2050 voraussichtlich 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, bedeutet dies, dass mittelfristig Wohnraum für rund 2,5 Milliarden Menschen gefunden werden muss. Städtische Flächen sind eine zunehmend begrenzte Ressource. Nachdem es für Hochbauten physikalische Grenzen gibt und der Platzmangel zahlreiche Baudenkmäler und Grünanlagen bedroht, denken Städte wie Paris, Mexiko-Stadt und Singapur darüber nach, künftig nicht mehr in die Höhe zu bauen, sondern in die Tiefe.

"Erdkratzer" statt Hochhäuser

Im Jahr 2017 startete Paris einen Wettbewerb namens Reinvent Paris 2, bei dem Architekten gebeten wurden, Ideen für derzeit ungenutzte Grundstücke zu entwickeln, die sich im Eigentum der Stadt befinden. Dazu gehören Keller historischer Gebäude, Tunnel, die überflüssig wurden, nachdem Autos von den Ufern der Seine verbannt wurden, ungenutzte Stauseen, alte Parkplätze und ehemalige Schlachthöfe. Teilweise wurden die bereits in Restaurants, Einkaufszentren oder sogar in Farmen für essbare Insekten umgewandelt.
Architekten in Mexiko-Stadt wählten einen anderen Ansatz: Sie schlugen eine 300 m tiefe, unterirdische Pyramide vor, die sie "Erdkratzer" nannten und als Mini-Stadt unter dem Hauptplatz von Mexiko-Stadt planten. Bei einer Kosten-Kalkulation von 800 Millionen US-Dollar wurden die Pläne allerdings eingestellt.

Singapur gräbt sich ein

In Singapur hat die Regierung bereits mehr als 188 Mio. USD (146 Mio. GBP) in Ingenieur- und Forschungsarbeiten für den Untertagebau investiert und ihre Eigentumsrechte so geändert, dass nun alle Keller automatisch dem Staat gehören. Nach Angaben des Statistikministeriums von Singapur teilen sich 5,53 Millionen Einwohner das 719 Quadratkilometer grosse Land der Insel. Damit ist die Stadt einer der am dichtesten besiedelten Orte der Erde. Bis heute hat der Stadtstaat Wohngebäude mit mehr als 70 Stockwerken gebaut und gleichzeitig dem Meer neues Land abgetrotzt. Mit der Aussicht auf weitere 1,5 Millionen Menschen in den nächsten 15 Jahren sind die Möglichkeiten Singapurs jedoch ebenso begrenzt wie der Platz. Derzeit verfolgt die Stadt die Idee eines unterirdischen Wissenschaftsparks 80 Meter unter der Oberfläche, in dem 4.500 Wissenschaftler und Forscher mit unterirdischen Bauten, Grünanlagen, Autobahnen, Eisenbahnlinien und Kanälen für Rohrleitungen zur Klimatisierung leben könnten. Die Höhlen-Stadt ist zylindrisch angelegt, um Erdbeben standzuhalten.


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Über den Autor

Stephen Armstrong ist Autor von WIRED, UK

  

Wissenschaftliche Forschung verfolgen wir bei Vontobel mit grosser Neugierde und Aufmerksamkeit. Das gibt uns die Chance, neue Investment-Möglichkeiten frühzeitig zu erkennen. Darum widerspiegeln unsere Themenportfolios und Themeninvestments auch Megatrends wie die Entwicklung unserer Städte: Indem sie Unternehmen berücksichtigen, die wertvolle Beiträge zur Lösung von globalen Herausforderungen leisten.

Wer sind wir? Wie leben wir heute? Und wie neue Städte unser Leben verändern? Die Frage nach der Zukunft bewegt die Gesellschaft mehr denn je. Antworten suchen Ingenieure, Mediziner, Politiker und jeder einzelne von uns. Der Report über Zukunftsstädte unter der Erde ist einer von zahlreichen Beiträgen, die das Thema «Urbanisation» aus einem neuen, inspirierenden Blickwinkel beleuchten. Wir publizieren ihn hier als Teil unserer Serie «Impact».

  

 

  

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