Vontobel Investors Outlook Magazin Dezember 2022
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Geopolitik | Insights

Alte und neue geopolitische Begriffe verstehen

Publiziert am 12.01.2023 MEZ

Durch Veränderungen und noch nie dagewesene Herausforderungen entstehen neue Trends, Marktbedingungen und Modelle. Im Zuge dieser Veränderung kommen meist auch neue erklärende Wörter und Begriffe auf. Gleichzeitig verlieren mit der Veränderung alter Strukturen und Dynamiken auch damit verbundene Begriffe an Relevanz. Die neue Welt erfassen und verstehen – geopolitische Begriffe einzeln erklärt.

 

Formen unsere Wörter die Welt? Oder prägt die Welt unsere Sprache? Diese uralte philosophische Frage verdeutlicht die untrennbare Beziehung zwischen unseren Wörtern und Lebenswirklichkeiten. Daher ist es nur logisch, dass mit Veränderungen der Realität auch Veränderungen unseres Wortschatzes einhergehen.

Welche Bedeutung hat das für die Anleger? Nehmen wir folgendes Beispiel: Anleger neigen bei steigenden geopolitischen Risiken dazu, risikoreichere Anlagen wie Aktien oder hochverzinsliche Anleihen zu meiden, da diese Arten von Anlagen empfindlicher auf Preisschwankungen reagieren. Wie können Anleger fundierte Entscheidungen treffen, wenn sie die Schlüsselbegriffe zur Erklärung geopolitischer Risiken nicht verstehen?

Nach unserem Deep Dive in das Vokabular der Makroökonomie – die Begriffe, die uns prägen – liefern wir nun einige Erklärungen zu geopolitischen Begriffen. Diese Liste erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr erläutert sie einige der heute gängigsten geopolitischen Begriffe, die Bedeutung neuer und aufkommender Bezeichnungen und warum einige traditionelle Begriffe aus der Vergangenheit überdacht oder sogar vergessen werden sollten.

Geopolitik

Unter Geopolitik verstehen wir globale Machtbeziehungen in Bezug auf Themen wie territoriale Streitigkeiten, Ressourcen, nationale Interessen und Bevölkerungsmanagement und wie einzelne Länder, Regionen oder Gruppen versuchen, ihre Ziele umzusetzen. Dazu zählen sowohl diplomatische Auseinandersetzungen auf freundschaftlicher Ebene als auch gewaltsame Machtkämpfe wie Kriege. Auch abstraktere Konflikte um Religion oder Ideologien sind denkbar. Kurz gesagt, umfasst der Begriff alle Geschehnisse, welche die momentane und künftige globale Ordnung verändern können. Nun da die Spannungen zwischen den globalen Grossmächten USA, Russland und China zunehmen, wird uns dieser Begriff in nächster Zeit häufiger begegnen.

Second Cold War

Einige Kommentatoren haben begonnen, die anhaltenden Spannungen zwischen einzelnen Ländern mit dem Begriff «Zweiter Kalter Krieg» zu beschreiben. Der Ausdruck wird zum einen im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und China verwendet, doch auch der Krieg in der Ukraine und die darauffolgenden internationalen Spannungen führten zu Diskussionen um einen möglichen «Zweiten Kalten Krieg», da sich abermals West und Ost gegenüberstehen und insbesondere die Sorge vor einem nuklearen Konflikt wieder aufkam. Der Konflikt weist darüber hinaus Ähnlichkeiten mit dem Kalten Krieg auf, da sich Russland sowie Europa und die USA gegenüberstehen. Auch der Begriff Raschismus oder Ruschismus Einfach formuliert: russischer Faschismus. Mit diesem Wort wird die russische Rolle als Aggressor gegenüber der Ukraine beschrieben, aber in einem allgemeineren Sinne auch die unter der Führung von Wladimir Putin verbreitete Ideologie – vom Kult um seine Person über die expansionistische Rhetorik bis zur antiwestlichen Haltungist daraus entstanden.

Folgende Begriffe stehen ebenfalls im Zusammenhang mit diesem Thema:

Populismus

Populismus ist eng mit Nationalismus verknüpft, hat jedoch klar abgegrenzte eigene Merkmale. Nationalismus ist ein wichtiger Bestandteil des Populismus, doch letzterer wendet sich als Ideologie gezielt an «das Volk» und beschreibt «die Elite» als eine Gruppe, der die Bedürfnisse des Volkes gleichgültig sind und den «einfachen Menschen» daher das Leben erschwert. Populisten versuchen, bei ihrer Wählerbasis Gefühle von Stolz, Angst und Wut hervorzurufen, um eine «Wir gegen die»-Dynamik zu schaffen. Auf diese Weise wird die Bevölkerung gespalten.

In den vergangenen Jahren haben Nationalismus und Populismus unter den Wählern in den USA und Europa Auftrieb erfahren. So lieferten diese Strömungen entscheidende Impulse für die Pro-Brexit-Kampagne in Grossbritannien. In Deutschland beschleunigte sich der Aufstieg der «Alternative für Deutschland» (AfD), als der Krieg in Syrien zu einer Migrationskrise in Europa führte. Doch auch in Ungarn und Polen sind mit Viktor Orbán und Andrzej Duda nationalistische Politiker in Führungsverantwortung gekommen. «America First», der Slogan des ehemaligen US-Präsidenten Trump, war ein Paradebeispiel für Nationalismus, auch wenn Rhetorik und sein Stil einen neuen Begriff geprägt haben:
TrumpismDieser komplexe Begriff stammt aus seiner Präsidentschaftskampagne im Jahr 2015. Einfach erklärt beschreibt er Trumps einzigartigen Regierungs- und Kommunikationsstil, seine Ideologie und auf Ressentiments basierende Politik. Trumpism umfasst Elemente von extrem rechter Politik, Nationalismus und Populismus..

Ein weiterer neuer Begriff hat seinen Ursprung ebenfalls in den USA:

Protektionismus

Entscheidet die Regierung eines Landes, den internationalen Handel einzuschränken, um nationale Wirtschaftssektoren zu unterstützen und die heimische Konjunktur anzutreiben, spricht man auch von Protektionismus. Dieser Politikansatz wird unterschiedlich bewertet. Gegner des Protektionismus machen geltend, dass dieser häufig das Gegenteil des Gewünschten bewirke und sogar Preissteigerungen auslösen könne . Die Befürworter argumentieren hingegen, dass Protektionismus Arbeitsplätze im Inland schaffe und damit die Konjunktur antreibe. Bisweilen kann auch das Ziel der nationalen Sicherheit den Protektionismus befördern.

Protektionistische Massnahmen beziehen sich vorwiegend auf
Zölle, Zölle sind Steuern auf importierte Waren, die letztere faktisch verteuern. Damit soll die Nachfrage nach den betreffenden Produkten gesenkt werden.
Importquoten Mengenbeschränkungen für importierte Waren – die verfügbare Menge eines bestimmten Produkts nimmt ab. Auch damit soll die Nachfrage nach den betreffenden Produkten gesenkt werden.
und Produktnormen . Strenge Normen für importierte Produkte. Diese können den Verwaltungsaufwand und die Sicherheitsstandards erhöhen oder zu vermehrten Prüfungen führen. Hierdurch wird die Einfuhr von Waren komplizierter und kostspieliger, allerdings steigt damit auch die Qualität bestimmter importierter Produkte.

 

 

Handelskrieg

Betrachten wir nach dem Thema Protektionismus nun das Phänomen eines Handelskriegs. Wenn in einem Land der Eindruck entsteht, dass eine konkurrierende Nation von unfairen Handelspraktiken profitiert, kann die Regierung in der Folge die zuvor erläuterten Massnahmen gegen Importe aus einem anderen Land ergreifen.

Auch in diesem Fall gehen die Meinungen darüber auseinander, ob diese Massnahmen dem Land nutzen, das sie ergreift. Befürworter sind der Ansicht, dass ein solcher Handelskrieg die nationalen Interessen schützt und lokalen Unternehmen einen Vorteil verschafft. Gegner argumentieren hingegen, dass Handelskriege das Gegenteil des Gewünschten bewirken, da die Unternehmen unter Umständen mehr für Rohstoffe ausgeben und die entsprechenden Preissteigerungen an die Verbraucher weitergeben müssen, was wiederum eine Inflation auslösen kann. Somit entsteht ein Schaden nicht nur für die heimische Wirtschaft, sondern auch für die Handelsbeziehung zu dem Land, gegen das die Massnahmen verhängt werden.

Einige der wichtigsten Massnahmen in diesem Bereich wurden 2018 ergriffen, als der damalige US-Präsident Trump eine Reihe von Zöllen gegen so unterschiedliche Produkte wie Stahl, Aluminium, Solarpanels und Waschmaschinen verhängte. Betroffen waren Güter aus der EU und Kanada, aber auch China und Mexiko. Als Gegenreaktion beschloss auch die EU Zölle gegen US-Produkte. In diesem Fall waren etwa landwirtschaftliche Importe und Motorräder von Harley Davidson betroffen. Auch China schlug mit Zöllen auf US-Importe zurück. Diese Kosten wurden überwiegend von den Importeuren getragen und die Preise dann auf die Verbraucher der Länder umgelegt, die die neuen Massnahmen verhängt hatten. Dies zeigt, dass das Gegenteil des Gewünschten erreicht wurde.

Sanktionen

Dieser Begriff beherrschte die Schlagzeilen, nachdem Russland zu Beginn des Jahres 2022 in der Ukraine einmarschierte. Die EU und die USA verhängten eine Reihe von Sanktionen, um die russische Wirtschaft zu schwächen, Vermögenswerte einzufrieren und die Reisefreiheit von Personen einzuschränken, die sich im direkten Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin bewegen oder die den Krieg unterstützen, finanzieren oder von ihm profitieren.

Sanktionen können auch beinhalten, dass andere Staaten oder Unternehmen irgendwo auf der Welt bestimmte Regeln befolgen müssen, da ansonsten rechtliche und finanzielle Konsequenzen drohen. Werfen wir einen Blick auf die verschiedenen Formen von Sanktionen.

Westliche Ordnung

Dieser Begriff bezieht sich auf ein liberales demokratisches Modell, das die Weltordnung seit dem Ende des Kalten Kriegs dominiert, als die USA zur einzigen verbleibenden Supermacht wurden. Das Modell stützt sich auf Regelwerke, etwa die Erklärung der Menschenrechte, starke Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa und eine hohe Priorität von Werten wie Demokratie und Frieden, die durch etablierte internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen gestützt werden. Sowohl Russland als auch China hegen eine gewisse Antipathie gegen diese westliche Ordnung. Sie versuchen, ihre Macht auszudehnen, um diese Ordnung zu beenden.

Social Unrest

Ist die Bevölkerung mit einem Ereignis unzufrieden, kann dies zu sozialen Unruhen führen. Diese können die Form von Protesten, Ausschreitungen und Widerstand annehmen. Beispiele hierfür sind die jüngsten Proteste in China gegen die anhaltenden pandemiebedingten Einschränkungen oder auch die «Black Lives Matter»-Bewegung in den USA, die durch den Tod von George Floyd im Jahr 2020 ausgelöst wurde. Im zurückliegenden Jahrzehnt kam es vielerorts zu sozialen Unruhen – etwa zu den gegen die lokalen Regierungen gerichteten Aufständen des Arabischen Frühlings und zur «Occupy Wall Street»-Bewegung, die auf ökonomische Ungleichheit und den Einfluss des Geldes auf die Politik aufmerksam machen wollte. Einer Studie des Internationalen Währungsfonds zufolge belasten soziale Unruhen die wirtschaftliche Leistung und die Aktienmärkte.

Es sind neue Begriffe entstanden:

Publiziert am 12.01.2023 MEZ

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