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Art collection
Die Sammlung Art Vontobel umfasst derzeit über 250 Werke von Fotografen und Fotografinnen aus der ganzen Welt. Diese Seite zeigt eine Auswahl aus der Sammlung. Bitte kontaktieren Sie das Team von Art Vontobel, um mehr zu erfahren.
Paul Graham
#39, 1997
Pigmentdruck, 181 × 140 cm
© Paul Graham, Courtesy of the artist and Pace Gallery
«End of an Age», so heisst die Serie des britischen Fotografen Paul Graham (*1956, Stafford, UK), aus der dieses Bild stammt. In den späten 1990er-Jahren fotografierte Graham in der Zürcher Ausgehszene Jugendliche an der Schwelle zum Erwachsenwerden. In den Undergroundclubs schien ihnen für ein paar Stunden die Stadt zu gehören. «#39» zeigt eine junge Frau im roten dunstigen Licht des Nachtlebens. Ihre Augen sind geschlossen, sie wirkt in sich gekehrt. Der Bildausschnitt verrät kaum etwas über den Ort. Wir sehen einen Moment aus dem Leben eines jungen Menschen, der weit authentischer ist als jedes inszenierte Porträt. Doch die Serie handelt nicht nur vom Ende eines Lebensabschnitts, sondern auch vom Ende eines Jahrtausends in Zürich: «End of an Age» zeigt eine nahezu ausschliesslich weisse Bevölkerung. Grahams Aussensicht, im Nachtleben Londons geschult, erlaubte ihm zu erkennen, dass Zürich an einer Schwelle steht. Heute wissen wir, dass Graham richtig lag: Zürich ist vielfältiger geworden.
Eva O’Leary
Hannah, 2017, from the series Concealer, archival pigment print, 68,7 x 54,6 cm
© Eva O’Leary
Hannah ist ein Teenager aus State College, einem kleinen Städtchen in Pennsylvania, das auch Happy Valley genannt wird. Der Name klingt verlockend, doch der besorgte Blick der jungen Frau verrät, dass selbst an diesem vermeintlich glücklichen Ort nicht alles so ist, wie es zu sein scheint. Eva O’Leary (*1989, Chicago, US), Gewinnerin des Vontobel Contemporary Photography Prize A New Gaze 1, fotografierte Hannah beim Betrachten ihres eigenen Spiegelbildes durch einen Zweiwegspiegel, wie man ihn aus Polizeifilmen kennt. Sie wirkt verletzlich und unsicher – ganz im Gegensatz zu den selbstbewusst scheinenden Jugendlichen, die wir aus Werbespots und inszenierten Selfies in den sozialen Netzwerken kennen. Diesen entgegengesetzten Wirklichkeiten von Sicherheit und Unsicherheit geht O’Leary in der Serie Concealer nach. Selbst in Happy Valley aufgewachsen, kennt sie den sozialen Druck US-amerikanischer Kleinstädte, stets den Schönheitsidealen der Werbeindustrie entsprechen zu müssen, und zeigt, dass selbst hinter einer noch so perfekten Maske auch Ängste stecken.
Simon Lehner
Father, 2005 – 2019
Archivmaterial 3D-Rendering, 90 × 73 cm
© Simon Lehner
Wahrscheinlich hatte jeder schon einmal das Gefühl, sich in der eigenen Wohnung verkriechen zu wollen. Die polnische Fotografin Joanna Piotrowska (*1985, Warschau, PL) interessiert sich genau für solche eigenartigen Momente der menschlichen Psyche. Einer Performance gleich inszeniert sie in ihren Fotografien deshalb Situationen, die psychologisch aufgeladen sind. Der Mensch ist in ihren Schwarz-Weiss-Bildern stets verletzlich, sowohl seelisch wie körperlich. Die Bilder wirken unangenehm intim. Für die Serie «Shelter» bat sie Personen, aus ihren Habseligkeiten einen Unterschlupf oder eine Burg in der eigenen Wohnung zu bauen, wie es Kinder tun. Alltägliche Gegenstände werden zweckentfremdet. Eine gewöhnliche Kleiderstange ähnelt so plötzlich einem Käfig, die Bettdecke wird zum Zeltdach, das Kissen zum Wall. Die Stangen und Decken werden zu Symbolen der verworrenen menschlichen Psyche – und deren Beziehung zum Dach über dem Kopf.
Flurina Rothenberger
Djembé, Cotonou, Benin, 2016
Fujiflex-Kunstdruck, 40 × 60 cm
© Flurina Rothenberger
Kleider machen Leute, sagt man. Die Fotografie dieser Kreuzung in der Stadt Cotonou, Benin, scheint dieses Sprichwort perfekt zu illustrieren. Das Hemd und die Hose, die der Mann in der Mitte trägt, sind aus ein und demselben Stoff geschneidert – typisch für Benin. Seine Trommel, eine Djembe, gibt diesem Werk seinen Namen. Es stammt von der Schweizer Fotografin Flurina Rothenberger (*1977, Männedorf, CH), die ihre Arbeit seit Jahrzehnten dem afrikanischen Kontinent widmet, denn dieser ist ihre zweite Heimat. Aufgewachsen ist sie in Côte d’Ivoire. Kein Wunder, dreht sich bei ihr vieles um das Thema Identität – und hier spielen Kleider eine grosse Rolle. Ob gelber Schleier, blauer Helm oder hellgrüne Sandalen: Kleider tragen Afrikaner_innen bewusst und pflegen sie sorgsam. Denn den Kleidern wohnt fast eine Art eigener Geist inne. Das Chaos auf dieser Kreuzung wurde so für die Fotografin zu einer faszinierenden Modenschau, die hier, in Westafrika, immer auch politisch ist.
Kelvin Haizel
BASIC II, No. 6, 2018, aus der Serie “Babysitting a Shark in a Cold Room (BASIC)”
Inkjet-Druck, 92.6 × 139.7 cm
© Kelvin Haizel
Was formt unsere Identität? Religion, Nationalität, Hautfarbe? Für den Künstler Kelvin Haizel (*1987, Accra, GH) speist sich Identität nicht aus einer einzelnen Wurzel, sondern aus einem Geflecht, das fortlaufend wächst. Mit jeder Begegnung erweitern wir also unsere Identität. Auf der Suche nach solchen Begegnungen reiste der Gewinner des Vontobel Contemporary Photography Prize «A New Gaze 2» auf die Komoren, eine politisch gespaltene Inselgruppe im Indischen Ozean. Vor der Küste der Insel Grand Comore kam es 1996 zum tragischen Ende einer Flugzeugentführung mit 125 Toten. Die Leichen wurden bis zur Rückführung in einem Kühlraum aufgebahrt, der bis zu dem Unglück für die weitgehend von der Fischerei lebende Insel von zentraler Bedeutung gewesen war. Am Strand findet Haizel einen toten Babyhai, nimmt ihn mit in den ehemaligen, heute als Kulturzentrum genutzten Cold Room und performt dort im Gedenken an das Ereignis. Die Anonymität der Figur lädt die Betrachtenden dazu ein, sich selbst in dem Bild wiederzufinden und so Teil der Begegnung zu werden.
Zanele Muholi
Bester VII, Newington Green, London, 2017
Gelatinesilberdruck, 80 × 56.5 cm
© Zanele Muholi, Courtesy of the artist and Stevenson Gallery, Cape Town
#blackbeauty – mit diesem Hashtag präsentiert Zanele Muholi (*1972, Umlazi, ZA) ihre Fotografien häufig. Denn ihre fotografische Arbeit «Somnyama Ngonyama» dreht sich um Schwarze Haut, um Rassismus und Wiederaneignung der Schwarzen Identität. Übersetzt heisst der Titel der Serie: «Es lebe die Schwarze Löwin». In mehr als 90 Selbstporträts reflektiert Zanele Muholi mittels Requisiten und Schminke die Geschichte der Schwarzen Bevölkerung, visuellen Kolonialismus und Schwarze Schönheit. Die Selbstporträts sind gespickt mit historischen Referenzen und somit hoch politisch. Dieses Bild ist Teil der Hommage an Muholis Mutter Bester, die ihr Leben lang als Putzfrau für weisse Südafrikaner_innen arbeitete. Muholi nennt sich selbst visuelle Aktivistin: Bekannt wurde Muholi für eine Porträtserie von Afrikaner_innen der LGBTQIA+-Community. Auch dort ging es darum, Identitäten sichtbar zu machen und sie zu ermächtigen.
Henrik Spohler
Cactus Culture in Borrego Springs, USA, 2013
Inkjet-Pigmentdruck, 109 × 133 cm
© Henrik Spohler
Kakteen piksen und gehören eigentlich zur weiten Prärie, zu Cowboys und Freiheit. Das aber ist nicht mehr als eine romantische Vorstellung. Denn der Mensch versteht es, sogar diese industriell zu bändigen. Hunderte reihen sich hier aneinander, mitten in der Wüste von Borrego Springs, Kalifornien. Der Mensch lässt so Pflanzen spriessen, wie es Gott am dritten Tag der Schöpfungsgeschichte tat. The Third Day ist denn auch der Titel der Fotoserie, zu der dieses Bild gehört. Der Fotograf Henrik Spohler (*1965, DE) dokumentiert solche Orte, die die Mechanik der globalisierten Industrie in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit offenlegen. Die Kakteenzucht ist Utopie und Dystopie zugleich: auf der einen Seite das Konsumparadies, mit allzeit verfügbaren Pflanzen und Lebensmitteln, auf der anderen Seite die Wüste, die der Mensch sich unterwirft – das aber auf Kosten des Grundwasserspiegels, der hier immer weiter sinkt. Wie lange das angesichts des Klimawandels gut geht, ist ungewiss.
Albrecht Tübke
Ohne Titel, aus der Serie “Personae”, Florenz, 2010
Pigment-Inkjetdruck auf Hahnemühle-Papier, 2 Fotografien, je. 47 × 38 cm
© Albrecht Tübke
Jeden Morgen stehen wir vor demselben Dilemma: Was anziehen? Denn: So nüchtern und praktisch orientiert man sein mag – unsere Kleidung ist unsere Rüstung für die Öffentlichkeit. Sie schützt uns vor Blicken oder lenkt diese auf uns. An unserer Kleidung werden wir gemessen und bewertet. Mit ihr drücken wir unsere Persönlichkeit aus. Der deutsche Fotograf Albrecht Tübke (*1971, Leipzig, DE) hat während Jahren diese öffentliche Identität auf den Strassen von San Francisco, London oder Florenz dokumentiert. Tausende Gesichter, Outfits, Personen liefen an ihm vorbei – einige schafften es auf seine Bilder. Auf diesen Porträts spricht die Erscheinung der Person ganz für sich allein, Tübke enthält sich jeglicher Einbettung in einen Kontext. Immer stehen die «Personen» vor einer unscheinbaren Beton- oder Backsteinwand. Erst in dieser Reduktion erkennen wir plötzlich eine Vielfalt an Individualität, die im Trubel einer Grossstadt normalerweise untergeht.
Richard Mosse
Dionaea muscipula with Mantodea, 2019
Digitaler C-Druck, 162.6 × 121.9 cm
© Richard Mosse, Courtesy of the artist and Altman Siegel, San Francisco
Nur weil Pflanzen für uns Menschen grün aussehen, heisst das nicht, dass das bei allen nicht-menschlichen Lebewesen auch so ist. Insekten zum Beispiel sehen auch ultraviolettes Licht. Und da viele Pflanzen Insekten anlocken wollen, reflektieren ihre Blüten UV-Licht besonders gut. In dieser Fotografie von Richard Mosse (*1980, Kilkenny, IR) werden wir quasi selber zum Insekt: Wir tauchen ein in eine fremde, gruselig-wundervolle Welt, in der es um Täuschung und Überleben geht. Um Fressen oder Gefressenwerden. Venusfliegenfallen lauern ebenso auf Beute wie die Gottesanbeterin oben links im Bild. Bekannt ist Mosse wegen seiner Fotografien aus Krisengebieten. Dabei bedient er sich stets neuester Technologien der Sichtbarmachung, wie beispielsweise Wärmebildkameras, die eigentlich im Krieg oder in der Wissenschaft verwendet werden. Hier fotografierte er für einmal das Schlachtfeld der Insekten und Blumen und macht so mittels UV-Taschenlampe einen Lebensraum sichtbar, der durch den Menschen bedroht ist wie nie zuvor.
Vincent Fournier
Anechoic Chamber, [ISAE], Toulouse, 2018
Inkjet-Druck auf Hahnemühle Barytpapier, 150 × 200 cm
© Vincent Fournier
Weiss, steril und in futuristischen Formen: So stellen wir uns die Zukunft oft vor. Die Zukunft auf einem fremden Planeten. Denn was «futuristisch» aussieht, hat meist mit Raumfahrt zu tun. Dieser Ästhetik folgt der französische Fotograf Vincent Fournier (*1979, Ougadougou, BF) seit 2007 in seiner Serie «Space Project». Diese Ästhetik sagt nicht nur etwas über die Raumfahrt aus, sondern auch über unsere Hoffnungen, die damit verbunden sind. Er fotografiert dabei Objekte und Orte, die diese Ästhetik in den Anfängen der Raumfahrt ab den 1960er-Jahren prägten: Fournier dokumentiert Helme der Astronaut_ innen oder auch den Kontrollraum, von dem aus Apollo 8 ins All geschossen wurde – die erste Mission, welche die Umlaufbahn der Erde verliess. Auf dieser Fotografie ist der schalltote Testraum im französischen Institut für Luft- und Raumfahrt festgehalten. Wer hier redet, dem kommt keinerlei noch so kleines Echo entgegen – es ist, als spreche er im endlosen Raum des Weltalls.
Alastair Philip Wiper
Spark Gap in the High Voltage Laboratory, Technical University of Denmark, 2016
Archivpigmentdruck auf Hahnemühle-Papier, 130 × 104 cm
© Alastair Philip Wiper
Die Macht der Technik bringt fast jeden von Zeit zu Zeit zum Staunen. Denn mittels der Technik bändigt der Mensch die Natur nicht nur, er imitiert sie auch erfolgreich. Zwischen den beiden kupfernen Kugeln auf dieser Fotografie zum Beispiel können Forschende künstliche Blitze erzeugen. Entstanden ist diese Fotografie im Hochspannungslabor der Technischen Universität Dänemark. Als wäre es eine Theaterbühne, steht der Forscher Joachim Holbøll auf der Maschine und schaut zur sogenannten Funkenstrecke hoch, dem Spalt zwischen den beiden Leitern, wo der Blitz entsteht. Wie ein roter Vorhang umrahmt den Wissenschaftler die Trägerstruktur. Diese einzigartige Ästhetik hat dem Bild der britische Fotograf Alastair Philip Wiper (*1980, Hamburg, DE) verliehen. In seiner Serie «Unintended Beauty» hat er industrielle und wissenschaftliche Anlagen auf der ganzen Welt besucht und die spektakulärsten Maschinen fotografiert. Denn für ihn spiegelt ihre Ästhetik auch unsere Hoffnungen wider.
Daniel Everett
Ohne Titel, 2020
Pigmentdruck, 127 × 101.6 cm
© Daniel Everett
Einen Kabelsalat zu bändigen ist in der Tat nicht einfach. Egal wie man die Kabel bündelt, sie wirken unordentlich. Wozu die Kabel in dieser Vorrichtung eigentlich dienen, ist nicht leicht zu entschlüsseln. Sicher aber ist: Es wird durch Kabelbinder und Haltevorrichtungen alles getan, um ein Chaos zu verhindern und Ordnung zu schaffen. Dieses krampfhafte Streben nach Ordnung, welches die Moderne auszeichnet, fotografiert der US-amerikanische Fotograf Daniel Everett (*1980, Hudson, Ohio, US) in seiner Serie «Marker». Er sucht Spuren davon in den Grossstädten dieser Welt, entblösst diese Methoden des städtischen Ordnung-Machens – und manipuliert die Fotografien dann digital. Er fügt Elemente hinzu, lässt andere weg und greift so in das sorgsam gebändigte System ein. Er haucht den Bildern wieder Chaos ein. Denn Ordnung ist für ihn auch Symbol einer sterilen Welt ohne Leben, ohne Menschen und ohne Freiheit.
Louise Parker
Harper’s, 2016
Inkjet-Druck, 91.5 x 73.7 cm
© Louise Parker
Als Model läuft die US-Amerikanerin Louise Parker (*1989, St. Paul, Minnesota, US) für Marken wie Chanel über den Laufsteg. Als ausgebildete Fotografin zerlegt sie dann die Bilder, die von ihr entstanden sind. Für die Werkserie Pieces of Me schnitt sie Modefotografien von sich selber aus und arrangierte verschiedene Bildteile neu zu einer Collage. Für Parker ist das ein Weg, die eigene Identität und die Deutungshoheit über Fotografien von sich selbst zurückzuerlangen. Die so entstandene Collage fotografiert sie dann wieder ab – sie porträtiert also über mehrere Ecken sich selbst. Durch die Fotografie entnimmt sie die Collagen-Stücke endgültig ihrem angestammten Kontext – und befreit sich so vom fremden Blick des Fotografen. So könnten ihre Werke als Befreiungsschlag eines Models gesehen werden, dessen Körper von Modefotograf_innen eher als nützliches Werkzeug denn als Teil eines Menschen betrachtet wird.
Jalan and Jibril Durimel
Bigger then, Bigger Glenn, 2017
Inkjet-Druck, 83.8 x 111.8 cm
© Jalan and Jibril Durimel
Wer als Kind einen Schwimmreifen hatte, wurde im Freibad oder am Strand von den anderen Kindern meist mit neidischen Blicken bedacht. Der Schwimmreifen, so könnte man überspitzt sagen, ist wie ein Symbol für eine unbeschwerte Kindheit. Und eine solche erleben in gängigen stereotypen Bildern nur jene, die weisse Eltern aus dem Westen besitzen. Das Fotografenduo Jalan und Jibril Durimel (*1993, Paris, FR) aber zeigt, dass in Realität natürlich auch ein Schwarzer Mittelstand existiert. Die Zwillinge haben Wurzeln in den Französischen Antillen und verbrachten ihre Kindheit in Frankreich, den USA und in der Karibik. Sie studierten Film in Los Angeles und wandten sich dann der Fotografie zu. Zunächst Modefotografen, begannen sie schliesslich Fotografie als Kunstform zu begreifen. Ihre Werke lehnen sich stark an den Piktorialismus des frühen 20. Jahrhunderts an, der Geburtsstunde der Kunstfotografie. Sie fotografieren idyllische Momente – erlebt von Schwarzen Protagonist_innen.
Maya Rochat
Magic Cave (fluoro), 2016, aus der Serie “GIVE ME SPACE”
Dodeka-Inkjet-Druck auf mattem Papier, gedruckt auf rosa Fluorspray, 135 × 100 cm
© Maya Rochat
Höhlen haben immer auch etwas Unheimliches und lösen in uns oft eine irrationale Angst und Faszination aus. Vielleicht weil Höhlen über Jahrtausende entstanden sind. Für die Schweizer Künstlerin Maya Rochat (*1985, Morges, CH) sind Grotten wie diese perfekten Symbole dafür, dass alles auf der Welt ständigem Wandel unterworfen ist. Dass Flüsse Felsen schleifen, Berge wachsen und Seen verdunsten. Diese Prozesse der langsamen, aber unaufhaltsamen physikalischen Veränderung wendet sie auf ihre Werke an. Sie nennt das «Sedimentation»: Fotografien werden mit fotochemischen Verfahren verändert, übermalt, mit farbigem Licht angeleuchtet und wieder abfotografiert. Es ist ein unendlicher Prozess, der nie wirklich fertig ist. Jedes Werk ist nur ein temporärer Zustand. Sie konfrontiert uns so mit experimentellen Werken, die das Auge anziehen und die Unbeständigkeit der Welt symbolisieren.
Matthieu Gafsou
Skully, 2015, aus der Serie «H+», 2015 – 2018
Pigmentdruck, 50 × 40 cm
© Matthieu Gafsou, Courtesy Galerie C Neuchâtel – Paris
Irgendwann muss jeder sterben. Damit will sich der moderne Mensch aber nicht abfinden. Der Traum von der Unsterblichkeit ist zwar nicht neu – die Techniken, diese zu erreichen, aber werden immer raffinierter. Vier Jahre hat der Westschweizer Fotograf Matthieu Gafsou (*1981, Aubonne, CH) sich in die Welt des Transhumanismus, abgekürzt H+, eingearbeitet. Von der Schweiz bis Russland, von Frankreich bis Tschechien suchte er Menschen auf, die diese Vergänglichkeit überwinden wollen. Er war in den Forschungslabors, in denen die Cyborgs von morgen entstehen könnten, und hat in Garagen mit «Biohackern» geredet, die den menschlichen Körper technologisch verbessern wollen. Transhumanismus, so hat er beobachtet, ist für viele eine Art Religion geworden – und so ein moderner Weg, der Angst vor dem Tod zu entrinnen. Diese Fotografie versinnbildlicht diese neue Religion: Der schwarze Totenkopf, in schwarzem Raum schwebend, wird für Gafsou zum «futuristischen Symbol der Vergänglichkeit».
Sara Cwynar
Ali from SSENSE.com (How to Marry a Millionaire), 2020
Archiv-Pigmentdruck, 76.2 × 61 cm
© Sara Cwynar, Courtesy of the artist and The Approach, London
Eine königsblaue Bluse, ein professionelles Model, ein Fotostudio: Eigentlich ist dieses Bild eine Modefotografie. Aber eine – natürlich absichtlich – missglückte. Sie gibt einen Blick hinter die Kulissen der Werbe- und Modeindustrie. Denn statt Mode sehen wir, wie Bilder konstruiert werden, um die Konsument_innen zu verführen – und wie diese Verführungskünste altern. Die kanadische Künstlerin Sara Cwynar (*1985, Vancouver, CA) kreiert hierfür eine Collage im Bild: Im Hintergrund hängt ein vergilbtes Renaissance-Poster – es zeigt wohl, wie Eva Adam verführt. Im Vordergrund klebt der altmodische Bastelbogen des Kleides, das Marilyn Monroe in dem Film «How to Marry a Millionaire» (1953) trug. Zwischen weiteren Ausschnitten aus alten Modemagazinen steckt eine junge Frau namens Ali, die in einer Bluse des Onlineshops SSENSE posiert. Cwynar stellt der modernen Modefotografie also Bilder vergangener Zeiten gegenüber. Vor unseren Augen entsteht so eine Zeitleiste der Verführungstaktiken.
Manon Wertenbroek
Shaking Hands, 2016
Lambda-Druck auf Metallic-Papier, 135 × 110 cm
© Manon Wertenbroek
Händeschütteln hat seit dem Jahr 2020 einen schlechten Ruf, stattdessen winken wir uns nun öfter auf Bildschirmen zu. Als dieses fotografische Werk im Jahr 2016 entstand, streckten wir uns täglich die Hände entgegen. Auch schon damals war jedoch nicht immer klar, wann der Händedruck tatsächlich angebracht war – und nicht immer war dieser angenehm. Die schweizerisch-niederländische Fotografin Manon Wertenbroek (*1991, Lausanne, CH) drückt solche Gefühle, die in merkwürdigen Momenten sozialer Kommunikation entstehen, in Farben und Formen aus. Sie verwendet dafür aber nicht Pinsel und Leinwand, sondern Silberfolie, in die sie Zeichnungen ritzt. Das Spiel der Spiegelungen fotografiert sie dann ab. Dieses Spiel erzeugt sie nicht durch natürliches Licht, sondern durch das Leuchten eines Computerbildschirms. Denn unsere soziale Interaktion verschiebt sich zunehmend auf den Bildschirm – das Leuchten wird zum Symbol einer neuen Ära mit neuen sozialen Umgangsformen.
Trevor Paglen
UFO-F4 in Geosynchronous Orbit (Ultra High Frequency Follow-On Communications Spacecraft; USA 108), 2013
C-Druck, 101 × 152 cm
© Trevor Paglen, Courtesy of the artist, Metro Pictures, New York, Altman Siegel, San Francisco
Nicht alle Sterne am Himmel sind tatsächlich Sterne. Über unseren Köpfen, in der Umlaufbahn der Erde, schwirren auch Hunderte von Satelliten umher. Der US-amerikanische Fotograf und Geograf Trevor Paglen (*1974, Camp Springs, Maryland, US) spürt diese Satelliten mit Kamera- und Teleskoplinsen auf. Dabei greift er auf Daten von Amateuren zurück, sogenannten Satellite- Spottern, die den Nachthimmel systematisch beobachten. Auf dieser Fotografie hat er einen Satelliten erwischt, der zu einem Kommunikationssystem des US-amerikanischen Verteidigungsdepartements gehört, dem sogenannten «Ultra High Frequency Follow-On»-System. Der Satellit bewegt sich genauso schnell um die Erde, wie diese sich dreht: Er erscheint deshalb immer um die gleiche Zeit am Nachthimmel. Ziel dieser Fotografien ist es, die geografischen Strukturen der globalen Überwachung sichtbar zu machen. Paglen selbst benutzt für seinen künstlerisch-politischen Zugang den Begriff der «experimentellen Geografie».
Anastasia Samoylova
Black and White Mountains, 2015, aus der Serie “Landscape Sublime”
Archiv-Pigmentdruck, 80 × 100 cm
© Anastasia Samoylova, Courtesy of Galerie—Peter—Sillem, Frankfurt am Main
Erhaben thronen sie über dem Tal: die Berge. Egal ob im Engadin oder in den Rocky Mountains – immer von neuem ziehen sie Fotograf_innen an. Tausendfach wurden diese Landschaften schon fotografiert. Jede neue Fotografie reiht sich ein in die Tradition der Landschaftsfotografie, in der Bergspitzen und Täler unberührt und archaisch wirken – und so über die Realität hinwegtäuschen. Denn: Tourist_innen, die sich an diesen Orten gegenseitig auf die Füsse treten, sind nie zu sehen. Mit diesen Illusionen, die Fotografien schaffen können, beschäftigt sich die russische Künstlerin Anastasia Samoylova (*1984, Moskau, RU). Statt stereotype Fotografien dieser Orte zu reproduzieren, faltet sie Papierausdrucke gängiger Fotografien aus dem Internet zu Skulpturen. Die Skulpturen wiederum hält sie fotografisch fest. Diese Stillleben wirken im Internet-Kleinformat wie schöne Landschaften. Erst als Print im Grossformat erkennen wir, dass es sich bloss um Illusionen handelt.
Daniel Everett
Ohne Titel, 2020, Diptychon
Pigmentdruck, je. 89 × 71 cm
© Daniel Everett
Wo Strassen aufgerissen werden, sieht man vorher meist irgendwelche kryptischen Markierungen, die für Laien unverständlich sind. Vorbeigehende nehmen diese Zeichnungen unbewusst wahr, fragen sich vielleicht, was sich unter dem Asphalt befindet. Für die Bauarbeiter schaffen die Markierungen Ordnung, bevor das totale Chaos ausbricht, das eine Strassenbaustelle mit sich bringt. Für den US-amerikanischen Fotografen Daniel Everett (*1980, Hudson, Ohio, US) symbolisieren solche Ordnungsinstrumente die Moderne und eine dystopische Zukunft zugleich. Denn: Wo absolute Ordnung herrscht, da ist kein Leben. Der Fotograf spürt in seiner Fotoserie «Marker» Spuren dieses Strebens nach Ordnung auf. Er fotografiert diese Zeichen der Ordnung – und überhöht die Fotografien dann digital, indem er fiktive Elemente einbaut. Er schafft so wieder Unordnung: Die Markierungen wirken hier in der Häufung plötzlich wie Kreidezeichnungen von Kindern oder Graffitis von Jugendlichen.
Simone Kappeler
Nussbaumersee, 2007
Analoge Farbfotografie auf Ilfochrom-Papier, 120 × 183 cm
© Simone Kappeler
Fotografien können Momente festhalten, die wir nicht vergessen möchten. Bei der Fotografin Simone Kappeler (*1952, Frauenfeld, CH) sind das meist beiläufige Momente ihres unmittelbaren Lebens. Indem sie mit Filmmaterial und unterschiedlichen Kameras experimentiert und so Verfärbungen, Unschärfen oder Verzerrungen durch das fotografische Material mitsprechen lässt, wirken ihre Arbeiten fast zeitlos. Die Bildwelt des Nussbaumersees versinkt durch die Verwendung eines analogen Infrarotfilms in tiefes Rot. Das Bild trägt zwar den Namen des Ortes, an dem es aufgenommen wurde – dem Nussbaumersee im Kanton Thurgau –, die rote Farbe zeigt aber, dass diese Fotografie kein Abbild der Realität sein will. Losgelöst von Ort und Zeit wird dem Bild eine magische Überzeitlichkeit, ja eine Universalität eigen. Durch die subjektive Farbgebung bringt Simone Kappeler Gefühle zum Ausdruck und lädt so zu den Tagträumen ein. Melancholisch erinnern wir uns zurück an den letzten Spätsommernachmittag am See.
Rico Scagliola/Michael Meier
Candy Hair, 2011
Digitaldruck, 60 x 40 cm
© Rico Scagliola/Michael Meier
Bonbons sind in der Regel bunt, sie sind hellblau wie der Himmel, violett wie ein Veilchen oder orange wie Tulpen. Das ist kein Zufall: Hauptabnehmer sind Kinder und Jugendliche – und diese sind vernarrt in Farben. Denn Farben, das ist Fantasie. Fantasie, die vor allem Jugendliche dazu anregt, auf alle möglichen Arten gegen die Gesellschaft zu rebellieren. Zum Beispiel mit bonbonfarbenem Haar. Doch heute gilt eine solche Rebellion nicht nur den Eltern, sie ist auch ein gut verwertbares Bildmotiv. Die Jugend von heute ist mit dem Internet aufgewachsen. Identität wird deshalb nicht nur, aber auch im Internet kreiert. Die beiden Fotografen Michael Meier (*1982, Chur, CH) und Rico Scagliola (*1985, Uster, CH) sind zweieinhalb Jahre mit Jugendlichen um die Häuser gezogen, um dieser Identität auf den Grund zu gehen. Dabei ist diese Fotografie entstanden, die Teil der Serie Neue Menschen ist. Und eines steht fest: Die neuen Menschen mögen es bunt.
Rico Scagliola/Michael Meier
Blue Oli, 2009
Digitaldruck, 40 × 60 cm
© Rico Scagliola/Michael Meier
Die Jugend hat schon seit jeher ein schwieriges Verhältnis zur Gesellschaft. Heute mehr denn je. Einerseits herrscht ein Jugendwahn: Alle wollen jung – und vor allem schön – bleiben. Andererseits wird Jugendlichen vorgeworfen, bequem, verwöhnt und visionslos zu sein und stattdessen nur Selfies zu schiessen. Die Schweizer Fotografen Michael Meier (*1982, Chur, CH) und Rico Scagliola (*1985, Uster, CH) wollten dieses zweidimensionale Bild nicht gelten lassen. Zweieinhalb Jahre haben sie deshalb Jugendliche begleitet. Daraus ist die Serie Neue Menschen hervorgegangen. Einer dieser neuen Menschen ist Oli, der hier in blauem Licht – vielleicht an einer Party – posiert. Denn was die heutigen Jugendlichen von Früheren abhebt, ist ihr Instinkt für die perfekte Inszenierung. Es ist die erste Generation, die mit den sozialen Medien aufgewachsen ist und gelernt hat, dass nur existiert, wer inszeniert. Diese Jugend dominiert Fotografien deshalb wie keine vor ihr.
Kyungwoo Chun
Simultan #1, 2010, Diptychon
Plexiglasmontierter C-Druck (Diasec), je. 50 × 65 cm
© Kyungwoo Chun
Kommunikation findet oft im Stillen statt. Dann, wenn wir scheinbar schweigen, uns bloss anblicken oder von unserem Gegenüber abwenden, sagen wir eigentlich ganz viel. Diesem stummen Dialog widmet sich der koreanische Künstler Kyungwoo Chun (*1969, Seoul, KR). Simultan #1 zeigt zwei junge Frauen, die Rücken an Rücken zueinanderstehen, aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Wir erfahren wenig über die beiden. Sie scheinen aus der tiefen Unschärfe des Bildgrundes aufzutauchen, ihre Konturen sind verwischt. Individuelle Charakterzüge und Zeichen von Zugehörigkeit sind kaum erkennbar. Chun interessiert sich nicht für ein realitätsnahes Abbild der Porträtierten, stattdessen versucht er, das menschliche Dasein selbst und unsere sozialen Interaktionen sichtbar zu machen. Durch Langzeitbelichtung und simultane Fotografie aus zwei verschiedenen Perspektiven verdichtet Chun Zeit und Dialog und lädt gleichzeitig dazu ein, unsere vielfältigen Beziehungen auch aus einem anderen Blickwinkel zu entdecken.